In einem ruhigen Hof im Beijinger Vorort Huairou sitzen Pedma, ein Thangka-Maler aus der Provinz Qinghai, und seine Schüler in einem 20 Quadratmeter großen Unterrichtsraum konzentriert über ihrer Arbeit. Wir befinden uns in einer Klasse für Thangka-Kunst, die vom Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation (CCF) organisiert wird.
Anders als bei anderen Kursen ist meditative buddhistische Musik zu hören, der starke Geruch von Leim, der aus Yakbutter gewonnen wird, liegt in der Luft. Die Wände des Klassenzimmers sind mit goldfarbenen Vorhangstoffen drapiert. Eine Buddhastatue steht neben dem Eingang. Die Schüler sitzen über den Raum verteilt und malen Thangkas. Manche von ihnen arbeiten zusammen, um etwa die Leinwand für ein besonders großes Thangka zu grundieren. Manche von ihnen malen mit feinen und dünnen Pinseln an eigenen Arbeiten. Einige skizzieren mit Bleistift die Umrisse eines Bildmotivs.
He Bin, Vize-Direktor des Tibet-Kulturfonds der CCF, erklärt, dass der Dekor des Unterrichtsraums dazu dient, für Lehrer und Schüler eine Tempelatmosphäre zu schaffen. Denn das Anfertigen von Thangkas und der buddhistische Glaube sind nicht voneinander zu trennen. Darin liege gerade der besondere Reiz der Thangka-Kunst.
Thangka, auch „Tibetische Enzyklopädie" genannt, ist ein wichtiges Medium der tibetischen Kultur, denn das breite Angebot an Motiven und Bildthemen umfasst nahezu alle Aspekte der traditionellen Kultur, auch wenn die Religion dabei immer im Mittelpunkt steht. Aber beim Betrachten der Thangkas lernt man auch viel über Tibets Geschichte und Gesellschaft sowie über das Alltagsleben der Menschen auf dem Dach der Welt.
Seit der Zeit von Songtsen Gampo, der von ca. 617 bis 649 König von Tibet war, ist die Herstellung von Thangkas als Rollbilder verbürgt. Mit pflanzlichen und mineralischen Farbstoffen werden seither religiöse Motive meist auf Leinenstoff gemalt. Da die Tibeter mehrheitlich fromme Buddhisten sind, findet sich in jeder Familie ein kleiner Opferaltar. Aufgrund der vorwiegend nomadischen Lebensweise der Menschen hat sich die Mitnahme eines Rollbildes auf die Sommerweide als praktisch erwiesen. So trat vielerorts ein Thangka an die Stelle von Buddhafiguren aus Bronze oder Holz. Deshalb nennt man Thangkas auch gerne „laufende Buddhastatuen".
2006 wurde die Thangka-Malerei von der chinesischen Regierung in die Liste der schutzwürdigen immateriellen Kulturgüter aufgenommen.
Vom Himalaya nach Beijing
Bevor man sich an das Malen eines Thangkas setzt, gilt es zunächst, die Leinwand zu behandeln. Normalerweise spannt man den Leinstoff auf einen Holzrahmen. Dann trägt man als Grundierlösung insgesamt zweimal Butterleim auf der Vorder- und Rückseite der Leinwand auf. Nachdem die Leinwand wieder trocken ist, sprengt man ein wenig Wasser auf das Leinen. Mit einem Stein wird die Oberfläche aufgeraut. Dann kann das Werk beginnen.
Nach dieser umfangreichen Vorbehandlung zeichnet man den Entwurf mit Bleistift. Das zeichnerische Talent ist vielleicht die wichtigste Fertigkeit eines Thangka-Malers. Wenn der Entwurf fertig ist, beginnt der Prozess des Farbauftrags. Details werden mit feinen Pinseln gemalt, bestimmte Flächen werden mit Goldfarbe belegt.
Im Klassenzimmer zerreiben zwei Schüler mit der Hand Blattgold zu Pulver. Pedma zufolge dient das Gold zur Darstellung des Schmucks des Buddhas. Thangka-Maler lösen das Goldpulver in Wasser und tragen es als Goldfarbe auf die Leinwand auf. Zuletzt poliert man die mit Goldfarbe behandelten Stellen, damit das Gold nicht seinen Glanz verliert.
Obwohl das Zerreiben von Blattgold zu Pulver sehr einfach wirkt, kostet dieser Handgriff doch viel Geld und Zeit. Der tibetische Junge hat zwei Tage mit dem Mörsern des Goldes zugebracht.
Nach dem Auftragen der Goldfarbe für Kleidung und Schmuck des Buddhas, kommt der wohl schwierigste Arbeitsschritt: das Malen des Buddha-Gesichtes.
Obwohl der 22-jährige Cédain seinem Lehrer Pedma schon oft dabei geholfen hat, Thangkas zu grundieren und malerisch zu gestalten, durfte er bis heute noch kein Gesicht malen. Cédain stammt ebenfalls aus Qinghai und lernt schon sieben Jahre bei Pedma wie man Thangkas malt.
Wie Pedma ist auch Cédain schon seit zwei Jahren in der Thangka-Klasse in Beijing. Da er bereits in Qinghai ein Schüler Pedmas war, ist er zur Fortsetzung seines Studiums mit ihm nach Beijing gekommen, wo er dem Meister zugleich als Gehilfe dient.
Gegenüber der Beijing Rundschau sagt Cédain, dass der Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation ihm neben einem Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten in Beijing auch jedes Jahr eine zweimalige Heimreise nach Qinghai bietet. So kann er alljährlich zum tibetischen Neujahrsfest und in den Sommerferien in die Heimat reisen.
Pedma hält Cédain für einen sehr talentierten Schüler. Nach 10-jährigem Studium – also in rund drei Jahren – wird er die Fertigkeit zum Malen von Gesichtern beherrschen und damit zu einem wahren Thangka-Maler herangereift sein.
„Wenn man die Augen und das Gesicht des Buddhas schlecht malt, wird der Thangka verdorben. Ich hoffe, dass ich eines Tages diese hohe Kunst beherrschen werde und somit ein Thangka-Meister werden kann", sagt Cédain.
Quellehttp://german.beijingreview.com.cn
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